Warum viele Rassen sich verändern
im Original von Andrew H. Brace, Übersetzung von Sonja Umbach
Ich wüsste gerne, ob wir uns – als Züchter, Aussteller und Zuchtrichter – überhaupt manchmal fragen, wie leicht wir uns an Veränderungen innerhalb einer Rasse gewöhnen. In manchen Fällen sind diese Veränderungen gar so tief verwurzelt, dass sie sich zu begehrten Eigenschaften mausern, auch wenn sie alles andere als typisch oder notwendig sind. Generell nehmen solche Veränderungen ihren Anfang auf Ausstellungen, mit Hunden von bekannten Züchtern oder Handlern, denen man so gerne als Maß aller Dinge folgt.
Wie entstehen Veränderungen? Es fängt damit an, dass bei einem Züchter ein Wurf fällt und zu einem gegebenen Zeitpunkt bewertet wird.
Der Züchter hat den Rassestandard völlig durchdrungen und schaut sich vor diesem Hintergrund jeden Welpen einzeln an und prüft seine Korrektheit. In den meisten Rassen ist die Mäßigkeit eine in vielerlei Hinsicht erstrebenswerte Anforderung. Das durchgängig Moderate trägt bei allen Tieren wesentlich zum Gleichgewicht, zur Harmonie und dem Eindruck, dass alles so passt wie es ist, bei.
Manchmal jedoch taucht ein Welpe auf, der irgendetwas an sich hat, woran das Auge hängenbleibt, und so entwickelt sich dieses ‚irgendetwas‘ unweigerlich auf die eine oder andere Art zur Übertreibung… ein zu langer Hals, ein zu edler Kopf, eine übertriebene Hinterhandwinkelung… und hier wird’s gefährlich.
Der komplett von der Rasse befangene Züchter wird die Übertreibung erkennen und den betreffenden Welpen nicht für die Zucht vorsehen, weil er zu weit entfernt vom korrekten Typ zu bewerten ist.
Viele andere jedoch, die wissen wie es läuft, werden die Übertreibung - an denen ihr Auge ständig hängenbleibt - als etwas erkennen, an dem auch das Auge des Richters hängenbleiben wird, wenn der Hund den Ring betritt. In der Folge verbleibt der Welpe beim Züchter, wird aufgezogen, trainiert und für den Ring zurecht gemacht.
Der Ball kommt ins Rollen sobald dieser, vom korrekten Typ abweichende Hund anfängt zu gewinnen.
Er betritt dann den Ehrenring und weitere Richter kommentieren die hervorragende Knochenstärke, den langen Hals, den enorm kurzen Rücken, den hohen Rutenansatz, das großartig raumgreifende Gangwerk oder was auch immer, auch dann, wenn diese Eigenschaften nicht zu den rassespezifischen Attributen gehören. Tauchen sie auf, werden sie honoriert und so eifern andere diesem Umstand nach.
Zu gegebener Zeit sehen die Züchter den Hund mit all seinen Erfolgen und denken sich, dass sie besser anfangen sollten auch in diese Richtung zu züchten. Schnell setzen auch sie besagten Hund ein und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der abweichende Typ fest in der Rasse verankert ist.
Nach kurzer Zeit finden sich die Richter in einer Klasse mit sechs Hunden im Ring – davon sind fünf von dem neuen, eher unharmonischen Typ, während einer korrekt ist. Der sachkundige, konstruktive Richter wird genug über die Rasse wissen, um mit Überzeugung sagen zu können „Dieser eine ist korrekt – die anderen nicht“ und entsprechend zu richten. Jedoch werden viele andere Richter sich für die einfachere Variante entscheiden, weil sie sich mit der Rasse vielleicht nicht in der Detailtiefe auseinandergesetzt haben. Sie werden annehmen, dass die Mehrheit korrekt ist, womit der sechste leer ausgeht.
Im Besonderen trifft das auf die Größe einer Rasse zu. So viele Rassen wurden im Laufe der Jahre größer, was vielleicht an dem nahrhafteren Futter liegt, das die Höhe schleichend ansteigen ließ.
Da wir nur eine Hand voll von Rassen mit mehr als einer Größenvarietät haben, die vermessen oder gewogen werden, wird dieser Anstieg kaum wahrgenommen.
Wenn ein engagierter Züchter mit einem Hund den Ring betritt, der gemäß Rassestandard absolut korrekt im Maß ist, wird er von anderen Ausstellern als zu klein bemängelt. In Wahrheit hat dieser Hund jedoch die korrekte Größe; dahingegen sind die anderen einfach über Maß.
Zu diesem Zeitpunkt ist der engagierte Züchter, der bislang den Rassetypus erhalten hat und einfach die Qualität steigern wollte, verständlicherweise frustriert. Er weiß zwar, dass das, was er züchtet, korrekt ist, die Zahl derer jedoch, die sich vom klassischen Rassetypus entfernen so groß zu sein scheint, dass wohl andere Züchter, Aussteller und Richter sich dem Strom anpassen, und er der einzige bleibt, der dagegen schwimmt.
Das ist bei mehreren Rassen in Großbritannien und darüber hinaus passiert und ich habe beobachtet, wie viele ‚alte‘ Züchter ihre Ausstellungstätigkeit dramatisch einschränkten, einfach weil sie das Gefühl haben, dass es sinnlos ist die Hunde Richtern vorzuführen, die die Prioritäten der Rasse nicht verstehen.
Genau das sind die Züchter, die erst recht den Ring besetzen sollten, damit die Freidenker das sehen und wertschätzen können.
Wenn Hunde mit schweren Fehlern – üblicherweise sind diese von der ‚attraktiven‘ Art – weiterhin gewinnen und zur Zucht eingesetzt werden, werden neue Züchter keinen Grund sehen, die Rasse zu korrigieren und zu verbessern.
Warum sollten sie auch? Diese Hunde gewinnen schließlich. Die, die die ‘modernen’ Hunde besitzen, haben üblicherweise gut reden und können überzeugende Argumente, wie etwa die Evolution oder die augenscheinliche Verbesserung, hervorbringen. In manchen Fällen bringen so manche willensstarken Personen die Zuchtvereine sogar dazu, den Rassestandard entsprechend der neuen Hunde anzupassen… in einem Krimi würde man so etwas als abscheuliches Tatmotiv bezeichnen. Und dann ist da ja auch noch die Macht der Werbung!
Trauriger Weise sind viele der Rasseänderungen, die wir beobachten konnten, der allgemeinen Gefälligkeit geschuldet – was ist also, wen ein Hund zu halsig, zu haarig, zu senkrecht ist? Es sieht hübsch aus und die Richter finden es toll.
Obwohl es heutzutage auf einer Hundeausstellung eher darum geht, Anwartschaften, Schleifen und Punkte zu erringen, als die Rasse zu erhalten, sollte der Showring das Schaufenster der Züchter bleiben. Es ist ein trauriger Gedanke, dass die echten Züchter, denen es ein Anliegen ist, den wahren Rassetypus zu erhalten, keine korrekten Hunde mehr finden könnten, die sie bräuchten, um die Korrektheit der nächsten Generationen aufrecht zu wahren.
© Andrew H. Brace, 2013
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Andrew H. Brace zur Übersetzung und Veröffentlichung dieses Artikels, der am 10. Mai 2013 in der ‚Dog World‘ Zeitschrift in Großbritannien erschienen ist.